Für einige, die in den letzten Monaten mit mir zusammengearbeitet haben, wird es nicht neu sein: Neben meiner Arbeit als Fotograf beschäftige ich mich auch wissenschaftlich mit Bildern. Seit September arbeite ich im Promotionskolleg JUST, das von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wird und promoviere zu Handlungsorientierungen in Bildern zum Klimadiskurs. Das Kolleg hat einen interdisziplinären Fokus auf Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Mein Schwerpunkt behandelt Bildsprache aus einer diskriminierungssensiblen Perspektive.
Diskriminierungssensible Bildsprache gründet auf machtkritischem Denken. Eine Grundannahme ist dabei nach dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu, dass unsere Wahrnehmung und die Art und Weise unserer Fotografie (die Bildgestaltung) durch unseren Habitus, unsere Erfahrungen, Geschmäcker und unsere eigene Stellung in der Gesellschaft geprägt sind. Ein Bild kann daher nie ganz objektiv sein, auch wenn der Sensor oder der Film zunächst einmal ein Abbild einer Realität aufnehmen. Diskriminierungssensible Bildsprache zeichnet sich dadurch aus, dass ich mir über die grundlegenden Gestaltungsprinzipien eines Bildes genauso bewusst bin wie über gesellschaftliche Machtverhältnisse und meine Rolle darin. Diskriminierungssensible Fotografie ist damit auch eine Form von (sozialer) Nachhaltigkeit.
Die Leitfragen, die ich mir stelle, gelten natürlich für alle Jobs, ganz gleich, wen ich fotografiere. Wie portraitiere ich als (noch) nichtbehinderter weißer Mann eine Sportlerin im Rollstuhl? Welche ihrer Stärken möchte ich in dem Bild betonen? Ist es Teil der Geschichte (und im Sinne der Abgebildeten), auch ihre Schwächen zu zeigen? Wie stelle ich das an ohne sie bloßzustellen? Wie berücksichtige ich dabei die Linienführungen, den Hintergrund, perspektivische Verzerrungen und andere Gestaltungselemente? Meistens geht es darum, ihre Behinderung gar nicht erst zu thematisieren, aber wenn doch: Möchte ich im Bild kritisch auf Ableismus im Alltag und Ermächtigungsstrategien behinderter Menschen eingehen? Sollte ich dazu einen Ort wählen, an dem das besonders deutlich wird?
Es geht für mich in der Fotografie also unter anderem um die Geschichten und Vorstellungen von Normalität, die wir mit Bildern erzählen wollen – und das hat auch viel mit Bildstrategie und Bildkompetenz zu tun, idealerweise mit Einbezug der Abgebildeten. Das gelingt natürlich nicht immer, ist je nach Foto mal mehr, mal weniger relevant und oft auch anstrengend, aber es lohnt sich (wenn man es nicht ohnehin schon macht). Man lernt dabei viel über andere, viel über sich selbst und trägt gleichzeitig zu einem nachaltigeren gesellschaftlichen Bildgedächtnis bei.
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Bildern hat definitiv Einfluss auf meine eigene Fotografie ausgeübt. Nicht nur achte ich noch mehr als vorher auf formale Bildelemente und die Art und Weise der Bildgestaltung, ich denke seitdem auch nochmal stärker über meine eigenen Motive nach, bevor ich ein Bild aufnehme und nachdem ich es bearbeitet habe. Zu Beginn hat mich diese Reflexion blockiert, weil ich den Eindruck hatte nicht zu wissen, was ich will – mittlerweile sehe ich es als eine Stärke an. Gleichzeitig gehe ich kritisch mit meinem Bildarchiv ins Gericht und habe auch zuhause schon das ein oder andere Bild von der Wand genommen, weil es implizit Botschaften vermittelt, mit denen ich durch mein jetziges Bildwissen nicht mehr einverstanden bin.